1998 - Unsere Heimat im 30-jährigen Krieg


Im Jahre 1648 – vor 350 Jahren – wurden nach einem 30-jährigen Krieg in Münster und Osnabrück die Friedensverträge unterzeichnet und Reiter brachten die gute Kunde in alle Welt. Der längste aller Kriege begann als Glaubenskrieg im Jahre 1618 mit dem „Fenstersturz von Prag“. Aber bald schon zündete er wie eine brennende Fackel Mitteleuropa an und überzog wie ein Flächenbrand vorwiegend die deutschen Lande.

Wie hat unsere Heimat und insbesondere das Kirchspiel Enkhausen 30 Jahre Krieg durchlebt und durchlitten?

Dem ersten Chronisten von Enkhausen, Pfarrer Melchior Homberg, und seinem Nachfolger, Pfarrer Everhard Wieden, verdanken wir die Aufzeichnungen aus jener gnadenlosen Zeit.

Im Jahre 1618 erscheint ein Komet am Himmel mit einem langen Schweif „gleich einer Ruthen“ und versetzt die Menschen in Angst und Schrecken. Was soll das bedeuten, was kommt auf uns zu?!

Anfang Februar des Jahres 1619 geschieht im nahen Soest etwas Furchterregendes: Ein Meteor fällt „wie ein feuriger Strahl vom Himmel“, fällt in einen Teich und verglüht „wie glühendes Eisen“ mit so einem lauten Zischen, daß man es in der ganzen Stadt hören kann.

Im gleichen Jahr – 1619 – stirbt der römisch-deutsche Kaiser Matthias I., gegen den sich die Kalvinisten im Vorjahr in Böhmen erhoben haben. Das ist ein weiteres böses Omen! Große Unruhe erfaßt die Bevölkerung und der kölnische Erzbischof und Kurfürst Ferdinand von Bayern läßt „aus väterlicher Vorsorge“ in den Kirchen, nach der Predigt, ein bestimmtes Gebet sprechen, um den Gläubigen „Halt und Trost“ zu geben.

Eine schwere Zeit beginnt - bringen die schlimmen Vorzeichen Not und Tod?

Schon am 12. Oktober 1619 fällt tiefer Schnee, der Winterroggen kann nicht gesät und viele Feld- und Gartenfrüchte können im Kirchspiel Enkhausen nicht mehr geerntet werden und verfaulen.

Um Weihnachten 1619 wird Westfalen von kriegerischer Unruhe erfaßt, denn „viel Volk zu Pferde und zu Fuß ist nach Bayern gezogen, um den Böhmen Widerstand zu thun“.

Anno 1621, im Februar, ist eine so große Kälte, „daß viele Soldaten auf Wachten, Kinder in Wiegen und arme Leute davon gestorben“. Die Erde ist so tief gefroren, daß die Gräber für die Toten nur mit größter Mühe ausgehoben werden können. Auf dem zugefrorenen Rhein in Höhe von Köln wird Markt abgehalten.

Anno 1622 ist der Krieg in Westfalen.

Christian, der Herzog von Braunschweig, der in diesem Glaubenskrieg auf protestantischer Seite kämpft, hat seine Garnison in Soest eingerichtet und fordert „aus den umliegenden Kirchspielen“ Geld, Heu und Hafer; „wie auch durch nächtliche Bothen und Schreiben von diesem Enkhausischen Kirchspiel 4 Fuder Heu und 6 Malter Haber (Hafer) angefordert – aber nicht erfolgt“.

In diesem Jahr 1622 bläht sich der Krieg auf; er kommt näher und näher und wird immer bedrohlicher für das Sauerland.

Aus Bayern und der Pfalz kommt „eine große Menge Kriegsvolk“ nach Paderborn, Sundern, Allendorf und Arnsberg.

Der „tolle Christian“ zieht brandschatzend durch Westfalen; Reiter aus Arnsberg, Neheim und Werl (katholisch) „etliche 1000 stark“, sammeln sich, ziehen zu Felde, überraschen den Herzog in der Stadt Geseke, hauen „3 Companien Reiter und 200 Musquetiere“ nieder und „machen gute Beuthe“.

Anfang März 1622 kommen 5 Kompanien Soldaten nach Herdringen und Müschede und 2 Fahnenreiter nach Hachen. Am 18. März ziehen sie nach Arnsberg. Dreimal muß das Amt Balve (zu dem das Kirchspiel Enkhausen gehört) „zum Commis“ 100 Malter Hafer, außerdem Rinder, Kälber, Läufer (junge Schweine), Leinen und Brot liefern. – Die darbenden Menschen müssen den Krieg ernähren!

Im Frühjahr 1622 kommen Reiter von Neheim nach Hövel, um zu plündern. Sie ziehen durch alle Häuser, was sie finden ist ihnen nicht genug, sie brechen daraufhin die Tür zur Kapelle auf und nehmen sich aus dem Lagerraum, was ihnen gefällt. Sie rauben den Bauern die Schweine, schlachten sie sofort und bedienen sich. – Es kommen weitere Soldaten, die auf Beute aus sind, hinzu, verjagen die zuerst gekommenen und erschießen einen Jungen.

Es herrschen rohe Gewalt und unbarmherzige Willkür.

Was dann im Kirchspiel Enkhausen geschieht, soll mit den Worten des damaligen Pfarrers Homberg wiedergegeben werden, um die ganze Ungeheuerlichkeit des Geschehens unmittelbar sichtbar werden zu lassen:

„Am 17. April 1622, im kölnischen Kriege, ziehen Reiter durch Enkhausen und haben zwischen Hövel und Langschede (Langscheid) zwei von den ihrigen erschossen, den einen durchs Haupt, den anderen durch die Brust und durchs Haupt getroffen, nackend ausgezogen, dem größten das Angesicht mit Pulverdampf verbrannt und nach 10 Tagen vom Schweinehirten gefunden. Dem größten der rechte Arm und die Brust ausgefressen und den 28. April hier auf dem Kirchhof begraben.“

Ständige Durchmärsche fremder Kriegsvölker bringen Seuchen in die Dörfer des Sauerlandes. Die Chronik vermerkt:

„Um diese Zeit scheint ein ansteckendes Fieber hier geherrscht zu haben, welches der Krieg erzeugt, oder doch sehr begünstigt hat.“ Gemäß Inhalt des ältesten Sterbebuches in Octav-Format, in welchem ausdrücklich bei mehreren Leichen die Bemerkung beigefügt ist: „An der neuen oder Kriegerkrankheit gestorben.“

Protestanten kämpfen gegen Katholiken, Deutsche gegen Deutsche, ein Söldnerheer erhebt sich gegen das andere; beide fordern Kontributionen von der leidenden, hungernden, wehrlosen Bevölkerung.

Pfingstmontag im Jahre 1622 kommen plündernde Reiter nach Hövel und haben „Joann im Hofe das Haupt zerschlagen“. Soldaten vom Haus Melschede kommen den Hövelern zu Hilfe: Sie erschießen einen aufsässigen Reiter, nehmen zwei gefangen und führen sie sowie 3 Pferde mit nach Melschede. Die Gefangenen werden bald wieder freigelassen, sie kehren nach Hövel zurück und nehmen ihrerseits Albert Schelte, den Bremer und den Schweinehirten als ihre Gefangenen mit.

Es ist kein frohes Pfingstfest für die Höveler!

Mit dem beginnenden Winter des Jahres 1622 kommt der Krieg wieder verstärkt nach Westfalen.

Im November lagert sehr viel Kriegsvolk des Grafen Anholt (kath.) in Soest, Werl, Neheim, Arnsberg, Balve und anderen Städten in der Nähe und wird mit „Commission proviandiert“. Das heißt, die gequälte, hungernde, notleidende Bevölkerung muß das Letzte hergeben, um den Krieg zu füttern!

Ende Januar 1623 können die Ortschaften Allerpe (Allendorf), Balve, Menden, Neheim und Arnsberg erleichtert aufatmen, denn das in diesen Orten lagernde Kriegsvolk verläßt seine Quartiere und begibt sich nach Lippstadt und Münster.

Im Kriegsjahr 1623 hat das Sauerland unter vielfältigen Kriegssteuern sehr zu leiden; außerdem sind – so berichtet die Enkhauser Chronik – Proviantlieferungen für die in Balve, Allendorf und Neheim einquartierten Soldaten zu leisten. Die immer knapper werdenden Lebensmittel haben zudem eine „große Theuerung“ zur Folge und so kosten „das Mütt Haber (Hafer) 2 Thaler, der Roggen und die Gerste 3 Thaler und der Weizen 5 Thaler“.

Anno 1624

Unvorstellbare Armut, fehlende Hygiene und Einquartierungen fremder Söldner sind der Nährboden für Seuchen verschiedener Art.

Die Enkhauser Chronik berichtet:

„Anno 1624 haben die Hächener eine zeitlang wegen dem rothen Weh die Pfarrkirche nicht besuchen dürfen, und ihre Kinder sind in der Kapelle zu Hachen getauft.“

Anfang Juni 1625 wird die Belagerung von Breda (prot. Niederlande) aufgehoben und 2.500 Soldaten mit 1.000 Wagen verlassen die Stadt.

Sie wenden sich Westfalen zu und „5 Companien Reiter nach Enkhausen gezogen; eine im Dorf, die andere in Müschede, die dritte in Hüsten gelegen, die vierte in Hachen, die fünfte in Herdringen“.

Die Chronik berichtet weiter:

„Im Anfang Juli 1625 ist der Junker Hans Wulf von Reigern, Capitain Lieutenant, von Breda wieder nach Hause gekommen, aber verstandeslos, welchen er jedoch nach einiger Zeit wiedererhalten.“

„Am 6. Juni 1627, auf Dreifaltigkeit, ist ein schrecklich Gewitter gewesen, daß auch in Enkhausen Hagelsteine wie Walnüsse und noch größer gefallen.“

Anno 1628

Der nun schon 10 Jahre grassierende Krieg mit seinen vielfältigen Gefahren, mit Hunger und Seuchen, erzeugt Aberglauben und Mißtrauen, aber auch Neid und Mißgunst.

Im Amt Balve, zu dem das Kirchspiel Enkhausen zu jener Zeit gehört, beginnt im Jahre 1628 eine wahnwitzige Hexenverfolgung.

In Balve trifft man Vorsorge für die kommenden schrecklichen Geschehnisse: „Es sollen die Thürme, Schlösser und Blöcher zur Gefängnis fertiggemacht werden!“

Am 13. September 1628 werden 10 Menschen hingerichtet, eines der Opfer ist eine arme Frau aus Hövel. Allen Unglücklichen wird vorgeworfen: „Haben viel Böses gethan mit Erweckung Ungeziefers, wodurch die Feld- und Gartenfrüchte verderbt, auch viel Menschen, Kinder und Vieh umgebracht, welches zu schreiben grausam.“

Am 14. September bringt „der Frohne von Hövel“, Johann König, „die alte Queckstertsche“ von Wettmarsen zum Gericht in Balve. Sie bekennt „gutwillig, ohne Tortur, in der Nachbarschaft in kurzer Zeit 15 Pferde (!) umgebracht zu haben“. Sie wird am anderen Morgen „mit umgedrehten Halse im Gefängnis todt gefunden“.

„Am 19. September sind zu Balve 6 Zauberer gerichtet, unter welchen Lise Queckstertsche mit verbrannt, welche ihren Nachbarn Haken binnen 2 Jahren 17 Pferde (!) umgebracht.“

Am 11. Oktober wird Heinrich Balke aus Beckum, Rentmeister auf Schloß Melschede, aufgefordert, sich unverzüglich nach Balve zu begeben. Am 13. November wird Heinrich Balke geköpft und verbrannt. Er hat „dem Pastor nicht nachbeten wollen, trotzig gestorben“.

Unter den weiteren 12 Personen, die an diesem Tage hingerichtet werden, sind die „lahme Anna“ aus Hövel und ihre Tochter. Wenig später wird auch die Schwester der „lahmen Anna“, die eine Zeitlang Küchenmeisterin in Melschede war, hingerichtet.

„Am 2. Dezember 1628 sind zu Balve 9 gerichtet, 4 geschwelget, 5 geköpft und verbrannt, darunter Dorothea, des Wollenscherers Tochter und die alte Hohlindische von Kirchlinden.“

Wieweit können sich Menschen verirren?!

Der Krieg geht weiter.

Am 19. Juli 1629 sind dem Melchior Sorgenit aus Langscheid bei der Langscheider Mühle von Wallensteins Soldaten die Pferde gestohlen worden. Melchior verfolgt die Räuber und wird von ihnen am „Zinnenberg auf der Heide“ erschossen.

Im Jahre 1630 kommt im Kirchspiel Enkhausen zu allen Nöten des Krieges eine neue Drangsal hinzu: DIE PEST.

Der damalige Pfarrer von Enkhausen, Everhard Wieden, sagt es mit einem einzigen Satz, so, als fehle ihm die Kraft für viele Worte:

„Im Juli 1630 hat die Pest in Langscheid angefangen zu wüthen.“

Anno 1634

Der inzwischen schon 16 Jahre andauernde Krieg hat alle mitteleuropäischen Staaten erfaßt.

Pfarrer Wieden vermerkt:

„Am 12. Januar 1634 ist ein luxemburgischer Hauptmann bei dem Hammer in Hachen von der Brücke gestürzt und ertrunken und in hiesiger Kirche begraben.“

Ob seine Mutter im fernen Luxemburg je erfahren hat, wie ihr Sohn ums Leben gekommen ist und wo er begraben wurde?!

Am 7. September 1634 haben Soldaten aus dem kaiserlichen Heer in einem Dorf an der Lenne mehrere Kühe und Pferde geraubt. Zunächst wird die Beute nach Hachen geschafft, später zum Schultenhof in Estinghausen weitergeleitet. Am 9. September tauchen plötzlich märkische Soldaten auf, verlangen Anteil an der Beute und fordern ein Gefecht heraus,

„davon 8 erschossen in Schulten Hof und Scheune“.

Die Chronik nennt Namen und Herkunft der Gefallenen:

1. Zacharias ein Hesse 2. Friedrich von Westenfeld 3. Jacob Kleine von Stadtberge 4. Evert von Jülich 5.Tons Beyer von Lestrate 6. Wilm Sommer aus dem Amt Menden 7. Schmidtmann von Menden 8. Heinrich Schmoll von Frühlinghausen

Schmidtmann und Schmoll werden in ihre nahen Heimatorte überführt, die 6 anderen toten Soldaten auf dem Kirchhof zu Enkhausen begraben.

Es kämpfen also auch Sauerländer in diesem nicht endenwollenden Krieg! Davon zeugt ebenso die nächste Chronikeintragung:

„Um Weihnachten 1634 ist Evert Hake, (aus dem Kirchspiel Enkhausen gebürtig) Soldat unter Hans Wulf von Wrede, in kaiserlichem Dienst, ertrunken.“

Anno 1636

Der Krieg währt nun schon 18 Jahre und je älter er wird, um so mehr scheinen die Menschen die 10 Gebote und ihr Gewissen vergessen zu haben.

Die folgenden Berichte sprechen für sich:

„Am 2. Juli 1636 ist Heinrich Schmiddes von Langscheid vom Kriegsvolk erschossen.“

„Am 12. Juli 1636 ist Humpert Schaepers von Hachen im kaiserlichen Dienst bei Werdohl ermordet.“

Die Sauerländer aus dem Kirchspiel Enkhausen kämpfen unter der Fahne der Kaiserlichen und damit auf der katholischen Seite!

„Im Februar 1637 ist Diderich Kirchhoff in Hachen, in kaiserlichem Dienst von seinem Lieutenant erstochen.“

Diese, von grenzenloser Brutalität zeugende Eintragung in der Enkhauser Kirchenchronik aus dem Jahre 1637 ist die letzte aus der Zeit des 30-jährigen Krieges.

Es soll noch 11 lange Jahre dauern, bis endlich im Jahre 1648 – nach überaus langwierigen Verhandlungen – die Friedensverträge in Münster und Osnabrück unterzeichnet werden können.

Dieses große europäische Ereignis vor 350 Jahren ist als „Westfälischer Friede“ in die Geschichte eingegangen!