1994 - Die Bergpredigt am Laurentiusfest und ihre historische Bedeutung


Seit dem Jahre 1692 gibt es in Enkhausen am Laurentiusfest die „Bergpredigt“. Seit über 300 Jahren ist sie einzigartig im Sauerland und sie gehört zum Laurentiusfest wie die feierliche Prozession, der Ehrenbogen mit dem Blumenteppich und der Umtrunk nach der kirchlichen Feier.

Wie konnte es geschehen, dass die „Bergpredigt“ irgendwann in den Nachkriegsjahren „eingeschlafen“ ist? Diese Frage stellte sich die St. Laurentius-Gemeinde Enkhausen und sie setzte alles daran, um das historische Geschehen neu aufleben zu lassen. Mit viel gutem Willen und einer guten Portion Idealismus suchte und fand man in dem Benediktiner-Pater Reinald Rickert von der Abtei Königsmünster in Meschede einen Mann, der sich bereit erklärte, an die schöne alte Tradition des Predigens im Freien anzuknüpfen.

Das diesjährige Laurentiusfest wird also wieder eine „Bergpredigt“ haben und wenn Petrus gnädig und das Wetter gut ist, werden alle Enkhauser sowie die Pilger aus nah und fern glücklich und tiefinnerlich zufrieden darüber sein, dass nach so langer Zeit endlich wieder „Laurentius wie früher“ ist!

Das Außergewöhnliche des biblischen Namens und die Besonderheit des Predigens unter freiem Himmel am Patronatsfest fordern heraus, nach Sinn und Ursprung zu fragen.

Unsere Kirche St. Laurentius gehört als „Stammkirche“ zu den ältesten Kirchen des Sauerlandes und sie grenzte vor etwa 1000 Jahren an die Bereiche der Stammkirchen von Balve, Hüsten und Stockum. Ein Pfarrer in Enkhausen, „Luthewicus ecclesiasticus (Pfarrer) de Eckenchusen“ wird erstmals im Jahre 1204 erwähnt; die Kirche selbst wird wahrscheinlich (genau ist das bis heute nicht festgestellt worden) um einige Jahrhunderte älter sein. Die Stammkirchen des Sauerlandes befanden sich immer im Mittelpunkt eines umfangreichen Kirchspiels und sie gaben ihrem Standort – der oftmals kleiner war als die „Filialen“ – historische Bedeutung.

Zum ehemaligen großen Kirchspiel Enkhausen gehörten früher die Ortschaften: Kirchlinde, Albringen, Wenningen, Wettmarsen, Oelinghausen Heide, Deinstrop, Möringen, Retringen, Dreisborn, Dahlhausen, Mimberge, Stiepel, Kalter Hof, Ainkhausen, Estinghausen, Beiler Hof, Hövel, Melschede, Hachen, Lindhövel, Stemel, Tiefenhagen und Langscheid.

Das Patrozinium des Hl. Laurentius ist ein sicherer Hinweis auf das Alter unserer Kirche. Die Laurentius-Verehrung in deutschen Landen geht auf die historische Schlacht auf dem Lechfelde bei Augsburg im Jahre 955 zurück. Am Laurentiustag, dem 10. August, unternahmen die Ungarn wieder einmal einen ihrer gefürchteten Überfälle. Kaiser Otto I. rief vor der großen Entscheidungsschlacht den Tagesheiligen, den hl. Laurentius, um Beistand an und mit einem glorreichen Sieg konnten die Ungarn endgültig zurückgeschlagen werden. Der hl. Laurentius wurde fortan als „Retter des Reiches“ verehrt und die Mehrzahl der Kirchen, die in den nächsten Jahrzehnten erbaut wurden, erhielten sein Patrozinium.

Im Jahre 1650 wurde von dem Weihbischof Bernhard Fricke (gebürtig aus Hachen) in unserer Kirche die lebensgroße Statue des Hl. Laurentius mit seinem Marterwerkzeug, dem Rost und der Friedenspalme, eingesegnet und es scheint, dass diese Heiligenfigur „zum Anfassen“ die Menschen der damaligen Zeit (2 Jahre nach dem 30-jährigen Krieg) in ihrer unvorstellbaren Armut und Not magisch angezogen hat. Zum Patronatsfest am 10. August kamen jedes Jahr Ströme von Pilgern; sie kamen von nah und fern und sie kamen zu Tausenden. Die alte Pfarrkirche zu Enkhausen, die schon an normalen Sonntagen die Gläubigen des großen Kirchspiels kaum fassen konnte, war diesem Ansturm nicht mehr gewachsen.

Da kam notwendige und schnelle Hilfe vom Erzbistum Köln mit Urkunde vom 2. Januar 1692: „Weihbischof Anethan, Generalvikar in Köln, erteilt dem Pfarrer in Enkhausen Ermächtigung, am Lorenzfeste zu Enkhausen, an welchem die Kirche die Menge nicht fassen kann, auf dem Tragaltar zu zelebrieren.“

Fortan wurde das feierliche Hochamt zu Laurentius auf einem Tragaltar „auf dem Kirchhof“ zelebriert!

Mit der Abpfarrung der Ortschaften Wettmarsen, Albringen, Deinstrop, Möringen und Retringen im Jahre 1895, der Fertigstellung der neuen großen Pfarrkirche im Jahre 1896 und der weiteren Abpfarrung von Stiepel, Dahlsen, Dreisborn und Oelinghauser Heide im Jahre 1904, konnte der Gottesdienst am Patronatsfest wieder in der Kirche abgehalten werden; die Predigt jedoch hielt ein Franziskaner-Pater aus Werl weiterhin im Freien, hinter der Kirche. Da der Berg hinter der Kirche steil ansteigt, nannte der Volksmund diese besondere Predigt am Laurentiusfest die „Bergpredigt“. Die Gläubigen – jung und alt – setzten sich nach der zweistündigen Prozession in das grüne Gras der Ufer oder – soweit der Platz reichte – auf die Kirchenmauer.

Alle Augen waren auf den Prediger gerichtet, der nahe der „alten Schule“ auf einer Holzkanzel stand. Aus den 50er Jahren wird glaubhaft berichtet, daß es einmal in eine erwartunsvolle Stille hinein aus einem nahe gelegenen Haus – bei geöffneten Fenstern – herüber schallte: „Lisebeth, wo ist meine Sonntagsbuxe?“ – Auch das gehörte zur Predigt in freier Natur!

In diesem Jahr hören wir nun nach langer Zeit erstmals wieder eine „Bergpredigt auf dem Kirchhof“ und bei aller Festtagsfreude sollten wir nicht vergessen, daß wir auf geweihter Erde stehen; auf dem ersten Kirchhof (Friedhof) des alten Kirchspiels Enkhausen. Hier wurden bis zur Einweihung des neuen Friedhofs im Jahre 1842 unsere Vorfahren bestattet. Hier haben sie zu ihrer Zeit – so wie wir heute – der „Bergpredigt“ zugehört: Froh gestimmt, aufmerksam, andächtig, ergriffen oder schmunzelnd; wer weiß das so genau.

Wäre es nicht gut und richtig, an dieser Ruhestätte unserer Vorfahren bis zur „Bergpredigt“ im nächsten Jahr eine würdige Gedenktafel zu errichten, damit sich auch die kommenden Generationen noch erinnern?!

Alle Besucher aus der näheren und weiteren Umgebung – besonders aber die Gläubigen aus den Ortschaften des früheren großen Kirchspiels Enkhausen – mögen sich mit uns über die Neubelebung einer mehr als 300-jährigen Tradition freuen und wie in alten Zeiten am diesjährigen Laurentiusfest der „Bergpredigt“ zuströmen!