1993 - Die Bergpredigt und die armen Seelen


Im Jahre 1692 erhielt die St. Laurentius-Pfarrei zu Enkhausen vom Kölner General-Vikar die Erlaubnis, die Festmesse am Patronatsfest im Freien zu halten, da die alte Kirche für die vielen Pilger aus nah und fern viel zu klein geworden war.

Nach Fertigstellung des Baus der neuen Kirche (1896) wurde das feierliche Pontifikalamt zu Ehren des Kirchenpatrons wieder in der Kirche gehalten, die Predigt jedoch hielt ein Werler Pater weiterhin im Freien.

Da „der Berg“ hinter der Kirche steil ansteigt, nannte der Volksmund diese besondere Predigt am Laurentiusfest die „Bergpredigt“.

Die Pilger – jung und alt – setzten sich nach der Prozession in das grüne Gras an den steilen Ufern oder – soweit der Platz reichte – auf die Kirchenmauer. Alle Augen waren auf den Pater gerichtet, der nahe der „alten Schule“ auf einer Holzkanzel stand und predigte.

Die Chronistin erinnert sich an ein Patronatsfest in den 30er Jahren. Der Himmel war tiefblau und wolkenlos und am frühen Morgen war es schon sehr warm. Die lange Prozession nach Estinghausen bewegte sich auf eine brütende Hitze zu und wurde zu einem wahren Bußweg für die Gläubigen: sahen sie sich doch – besonders bei der 2. Station auf „Maggen Wiese“ – einer unbarmherzigen, schattenlosen Sonne ausgesetzt!

Das „Engelchen“ von damals, das versucht, diesen Tag aus der Erinnerung herauszuholen, ließ sich nach dem ersehnten Ende der beschwerlichen Prozession erschöpft ins Ufergras fallen und war für einige Minuten ganz einfach froh, endlich sitzen und ausruhen zu dürfen. Doch dann machte sich plötzlich etwas anderes bemerkbar! Der Mund war wie ausgedörrt, dem Engelchen im weißen Kleid blieb im wahrsten Sinne „die Spucke weg“. Es war eine einzige Qual unter einer immer noch brennenden Sonne und ohne jeden Schatten! Und es wurde von Minute zu Minute schlimmer! Das vom Durst geplagte „Engelchen“ hörte kein Wort von der „Bergpredigt“, so sehr der Werler Pater auch gestikulierte und „wetterte“. Das „Engelchen“ litt Höllenqualen, es hatte nichts als Durst und konnte nichts anderes mehr denken als: trinken, endlich trinken!!

Einige Tage nach „Laurentius“ war Nähstunde bei Schwester Eulalia (eine Franziskanerin vom Karolinum) und das Kind klagte der Schwester seine Not während der „Bergpredigt“. Schwester Eulalia nahm den Kopf des Kindes in beide Hände, sah es ernst und eindringlich an und sagte: „Wenn man Durst hat, muß man nicht immer gleich trinken wollen; wenn Du mal wieder solchen Durst hast, dann mußt Du ihn aufopfern zum Troste der armen Seelen!“

Selbstbeherrschung, Opfergeist, waren zu jener Zeit noch Tugenden. Ob nicht ein Hauch davon, unserer genussorientierten Zeit gut bekommen würde?