1993 - Künder's Marri und das (B)Engelchen


Es war in den frühen 20iger Jahren dieses Jahrhunderts und es war wieder einmal August. In Enkhausen wurde das Laurentiusfest gefeiert und ein kleines blondes Mädchen aus Hachen wollte als „Engelchen“ mit der Prozession nach Estinghausen gehen.

In der damaligen Schule hinter der Kirche teilte Fräulein Künder weiße Seidenlilien und grüne Palmwedel an die in weiß und rosa gekleideten Engelchen aus. Fräulein Künder liebte die Langscheider sehr (denn sie war gebürtig aus Langscheid), die Enkhauser ein bißchen und die „Hächener“ liebte sie gar nicht.

Das kleine Mädchen aus Hachen, wir wollen es „Änneken“ nennen, war jetzt beim Austeilen an der Reihe. Künder’s Marri drückte ihr eine staubige, schmuddelige, unansehnliche Lilie - die auch noch den Kopf hängen ließ - in die Hand. „Die nimmst Du“, befahl ihre strenge, energische Stimme. „Die nehme ich nicht, Fräulein Künder“, sagte das kecke, kleine, etwa 8-jährige Ding, „wenn Ihr mir nicht eine andere Lilie gebt, dann sag ich’s unserem Papa! Dann macht er Euch nicht mehr die Schuhe!“

Es wird von einem langen, tiefen Seufzer berichtet, der sich hörbar Fräulein Künder’s jungfräulicher Brust entrang und von einem zufriedenen (B)Engelchen, das glücklich und andächtig eine strahlend-weiße Lilie in seinen kleinen Händen hielt bei der anschließenden Prozession nach Estinghausen.